Zukunftsfinanzierungsgesetz und ESOPs – Wirklich der große Wurf?


7 minute read | November.21.2023

Wichtiger Hinweis: Die folgenden (rechtlichen) Ausführungen dienen nur der allgemeinen Information, sind nicht abschließend und stellen keine rechtliche, steuerrechtliche oder sonstige Beratung dar.

Mitarbeiterbeteiligungsprogramme nach dem Zukunftsfinanzierungsgesetz

Am 17. November 2023 hat der Bundestag den Gesetzentwurf zur Finanzierung von zukunftssichernden Investitionen, das sogenannte Zukunftsfinanzierungsgesetz beschlossen. Die Maßnahmen umfassen Weiterentwicklungen im Finanzmarktrecht, Gesellschaftsrecht und Steuerrecht und sollen insbesondere auch verbesserte steuerliche Rahmenbedingungen für Mitarbeiterkapitalbeteiligungen schaffen. Bevor die Neuregelungen zum 1. Januar 2024 in Kraft treten können, muss der Bundesrat dem Gesetz noch zustimmen.

Ob die Neuregelungen den "großen Wurf" darstellen (wie Teile der Start-up Szene meinen), bleibt abzuwarten, da wesentliche Probleme mit eigenkapitalbasierten Programmen (ESOPs) fortbestehen. Wenn die Möglichkeiten des Zukunftsfinanzierungsgesetzes genutzt und die bislang vorherrschenden virtuellen Beteiligungsmodelle (VSOPs) wirklich durch Programme abgelöst werden sollen, die die Einräumung von Optionen auf Anteile oder sogar die anfängliche Ausgabe von Anteilen vorsehen, müssen für diese Themen (noch) praktikable Lösungen gefunden werden.

Ein kurzer Rückblick: Bislang sind ESOP-Programme unter anderem wegen Corporate Governance-Themen, diverser negativer steuerlicher Folgen sowie – jedenfalls bei der GmbH – wegen des Beurkundungszwangs in der Praxis nur relativ selten genutzt worden (Ausnahmen bilden die sog. Hurdle Share-Programme, die jedoch aufgrund ihrer Komplexität schwer skalierbar sind und sich in der Praxis daher meist nur auf eine Hand voll zentraler Mitarbeitender beschränken).

Insbesondere die sog. Dry Income-Problematik ist unter dem aktuell noch geltenden § 19a EStG nicht wirklich gelöst worden: Nach derzeitiger Gesetzeslage führen nach dem anfänglichen Besteuerungsaufschub diverse spätere Ereignisse zum Anfall von Lohn- und Einkommensteuer. Diese Ereignisse sind jedoch nicht zwangsläufig mit Zahlungsflüssen (sog. Liquiditätsereignissen) verbunden, die zur Deckung der Steuerlast genutzt werden könnten. Dies gilt insbesondere für den Fall der Beendigung des Dienstverhältnisses (sog. Leaver-Event), aber auch für den Zeitablauf ohne Verkauf sowie für die Übertragung der Mitarbeiterkapitalbeteiligung durch den Mitarbeitenden. In der Beseitigung dieser Problematik lag eines der Kernanliegen für das Zukunftsfinanzierungsgesetz.

Was sich durch das Zukunftsfinanzierungsgesetz ändert: Hier sind die wesentlichen Änderungen für Mitarbeiterkapitalbeteiligungen:

  • Der Kreis der berechtigten Unternehmen wird stark erweitert:

    • Es sollen nun alle Unternehmen erfasst werden, die (i) weniger als 1.000 Mitarbeitende beschäftigen und (ii) einen Jahresumsatz von höchstens EUR 100 Mio. oder eine Jahresbilanzsumme von höchstens EUR 86 Mio. erzielen (Vervierfachung bzw. Verdoppelung der bisherigen Schwellenwerte).
    • Die Förderung soll danach gewährt werden, wenn die Schwellenwerte im Zeitpunkt der Übertragung der Vermögensbeteiligung oder in einem der sechs vorangegangenen Kalenderjahre nicht überschritten wurden (bislang müssen die Schwellenwerte bei Übertragung oder zumindest im vergangenen Kalenderjahr eingehalten worden sein).
    • Weiterhin soll das maßgebliche Höchstalter der Unternehmen im Zeitpunkt der Anteilsübertragung von zwölf auf 20 Jahre erhöht werden.
  • Bezüglich der Dry Income-Problematik schafft das Zukunftsfinanzierungsgesetz nun in der Tat in vielen Fällen Abhilfe. Der Besteuerungsaufschub nach § 19a EStG wird nun, aufgrund einer Erweiterung um einen neuen Absatz 4a, in den Fällen des Zeitablaufs sowie der Beendigung des Dienstverhältnisses ohne Rückerwerb der Beteiligung weiterbestehen können. Für die Aufrechterhaltung des Besteuerungsaufschubs muss allerdings der Arbeitgeber die Haftung für die Lohnsteuer im Fall der späteren Übertragung der Beteiligung durch den Mitarbeitenden übernehmen (siehe dazu auch unten).
  • Auch im Fall der Beendigung des Dienstverhältnisses bei gleichzeitigem Rückerwerb der Anteile soll eine begrüßenswerte Änderung eintreten. In diesem Fall soll zukünftig die tatsächlich an den Mitarbeitenden gezahlte Vergütung für die Versteuerung maßgeblich sein, wenn diese niedriger ist als der Wert der Anteile bei ihrer anfänglichen Übertragung an den Mitarbeitenden. Damit wird die Finanzierung der Steuer für den Mitarbeitenden sichergestellt. Zum Vergleich: Bislang sieht das Gesetz zwar vor, dass bei Absinken des Verkehrswerts der Anteile im Leaver Event auch die Lohnsteuer sinkt; liegt die Leaver-Vergütung jedoch unter dem (gesunkenen) Verkehrswert der Anteile, so reduziert dies die Lohnsteuer nicht weiter, sondern sie wird auf den Verkehrswert der Anteile bezogen. Das kann für den Mitarbeitenden ein echtes Problem darstellen.
  • Die nach geltender Rechtslage vorgesehene Nachversteuerung nach spätestens zwölf Jahren ohne Verkauf oder sonstiges Steuerereignis (Zeitablauf) soll nun erst nach 15 Jahren eintreten.
  • Die Gewährung der Anteile soll zukünftig auch durch Gesellschafter des Start-ups erfolgen können; bislang muss die Gesellschaft selbst die Anteile gewähren.
  • Vinkulierte Anteile, bei denen satzungsmäßige Verfügungsbeschränkungen gelten, sollen immer bei Gewährung als zugeflossen gelten, um technisch den Besteuerungsaufschub nach § 19a EStG zu ermöglichen.
  • Der bei ESOPs wohl weniger relevante Steuerfreibetrag soll von derzeit EUR 1.440 auf EUR 2.000 erhöht werden.

Themen, die bleiben: Der Markt wird sich in den nächsten Monaten mit den neuen Regelungen auseinandersetzen und es ist aktuell zu früh für ein Urteil, auch für die euphorischen Lobeshymnen, die man teilweise auf Social Media in den letzten Tagen sah. Dies vorausgeschickt fassen wir nachfolgend einige der wesentlichen Themen, die es auch in Zukunft zu beachten gilt, zusammen. Das Zukunftsfinanzierungsgesetz hat im Grunde nur die Dry Income-Risiken weiter begrenzt, die Governance-Themen bleiben und auch weiterhin sind der Skalierbarkeit von ESOPs Grenzen gesetzt.

  • Der deutsche Gesetzgeber stellt der Start-up-Szene weiterhin keine spezielle "Klasse" von ESOP-Anteilen zur Verfügung, die (i) Mitsprache-/Beteiligungsrechte der ESOP-Berechtigten ausschließen oder erheblich einschränken, (ii) ohne notarielle Mitwirkung übertragen und (iii) im Falle eines von der Anteilsmehrheit gewollten Exits auch gegen den Willen der ESOP-Berechtigten "einfach" mitveräußert werden können. Anders als z.B. die US Inc. ist die deutsche GmbH nicht dafür konzipiert, eine Vielzahl von Gesellschaftern zu haben. Treuhandlösungen mitigieren das Thema ggf., aber geben auch keine Garantie.
  • Zudem ist der Wert der Anteile im Zeitpunkt der Ausgabe an den Mitarbeitenden festzustellen und vom Arbeitgeber im Lohnkonto festzuhalten. Dies wird in vielen Fällen die Erstellung eines Bewertungsgutachten nach anerkannten Bewertungsgrundsätzen erfordern, wenn der Wert nicht im Einzelfall aus fremdüblichen Transaktionen der letzten zwölf Monate abgeleitet werden kann. Da ESOPs in der Regel auf den Bezug von Stammanteilen (Common Shares) ausgerichtet sind, wird man nur dann ohne Gutachten auf vorangegangene Finanzierungsrunden abstellen können, wenn im Rahmen der Finanzierungsrunde neben der primären Ausgabe von Preferred Shares sog. Secondaries betreffend Common Shares erfolgt sind.

    Hier wäre mehr Handreichung durch den Gesetzgeber und letztlich ein den sog. "409a Valuations" in den USA nachempfundenes System wünschenswert, also vereinfachte Bewertungsgutachten, die vorbehaltlich wesentlicher Änderungen der Umstände auch für Ausgaben über einen gewissen Zeitraum gültig bleiben.

    In Fällen von echten Optionsprogrammen (in der GmbH eher unüblich) wird es sinnvoll sein, die Ausübung von gevesteten Optionen durch die Mitarbeitenden zu bestimmten Zeitpunkten zu bündeln. Dies würde es ermöglichen, eine einheitliche Bewertung zugrunde legen zu können und gleichzeitig den damit verbundenen Aufwand zu reduzieren. Gleiches dürfte – wie auch heute schon – weiter für die anfängliche Ausgabe von Anteilen mit "negativem Vesting" außerhalb eines Optionsprogramms gelten; auch diese Anteile wird man möglichst zu einheitlichen Zeitpunkten ausgeben wollen, um eine einheitliche Bewertung zugrunde zu legen.

  • Auch hat es das zunächst vorgesehene sog. Konzernprivileg nach den Beratungen des Finanzausschusses des Bundestags nicht in das beschlossene Gesetz geschafft. Dadurch wird auch weiterhin der Besteuerungsaufschub nur bei Ausgabe von Anteilen an die Mitarbeitenden der Gesellschaft, an der die Anteile bestehen, und nicht auch an Mitarbeitende von Tochtergesellschaften möglich. So werden in Deutschland steuerpflichtige Arbeitnehmer von Tochtergesellschaften ausländischer Start-ups Anteile des ausländischen Start-ups nicht unter Besteuerungsaufschub verbilligt erwerben können. Dies gilt z.B. für die Ausgabe von Anteilen oder Optionen an einer amerikanischen Inc. an die bei ihrer deutschen Tochtergesellschaft beschäftigte Mitarbeitende (typische Flip-Konstellation). Sind deutsche Arbeitnehmer*innen in verschiedenen Gesellschaften angestellt, so ist auch ein einheitliches Programm unter Nutzung des Besteuerungsaufschubs für alle nicht möglich.
  • Zur Vermeidung der Dry Income-Problematik bei Zeitablauf sowie bei Beendigung des Dienstverhältnisses ohne Rückerwerb der Anteile (siehe oben) sollen Arbeitgeber (auf freiwilliger Basis) unwiderruflich erklären müssen, dass sie die Haftung für die einzubehaltende und abzuführende Lohnsteuer bei Anteilsübertragung übernehmen. Überträgt der/die ehemalige Mitarbeitende danach die Anteile oder kommt es für das Start-up zu einer unbaren Transaktion wie etwa zu einem Anteilstausch, kann dies die Haftungsinanspruchnahme auslösen. Hier werden sich für die Unternehmen Fragen zur Sicherstellung der Durchsetzung von Regressansprüchen gegen die Mitarbeitenden nach Haftungsinanspruchnahme stellen.
  • Die Inanspruchnahme des Steueraufschubs nach § 19a EStG scheidet bei einem vergünstigten Erwerb der Anteile durch eine Kapitalgesellschaft (oftmals eine sog. Holding-UG) nach wie vor aus; der Mitarbeitende kann also nicht ohne Anfall von Lohnsteuer (oder Zahlung des Verkehrswerts der Anteile) dieselbe Struktur wie Gründerinnen/Gründer erreichen (dies ist bei Hurdle Shares jedoch möglich). Das ist zum einen steuerlich weniger attraktiv, kann aber auch zu Problemen führen, wenn es später zu Reorganisationen des Start-ups kommt, z.B. bei einem Flip in eine US-Holdingstruktur durch einen steuerauslösenden Anteilstausch.

Marktausblick – Zusammenfassung: Die Änderungen durch das Zukunftsfinanzierungsgesetz sind zu begrüßen, leidet die deutsche Start-up Szene doch nach wie vor massiv unter Standortnachteilen, wenn es um attraktive Mitarbeiterbeteiligungsoptionen geht. Bevor ein Unternehmen aufgrund dieser Änderungen aber ein ESOP aufsetzt, wird es sich dennoch intensiv mit den vorstehend beschriebenen, fortbestehenden Themen rund um den Besteuerungsaufschub und die Governance-Konsequenzen beschäftigen müssen. Auch wenn man die von der Praxis zu entwickelnden Lösungsansätze abwarten muss, kann das Zukunftsfinanzierungsgesetz nur ein Zwischenschritt sein.